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Mehr Kollegialität am Arbeitsplatz: Wie geht das unter den vielen Individualisten?

Theo Wehner, Prof. em. Dr. phil.


ETH Zürich (twehner@ethz.ch)


Jede Gesellschaft braucht ICH starke Bürger*innen, aber auch Bürger*innen mit einem starken WIR-Gefühl. Zur Zeit droht ein Ungleichgewicht zu entstehen: Der Individualismus nimmt zu – Eigensinn verdrängt Gemeinsinn.

Es wird die These vertreten, dass es mehr «Soziale Identität» im gesellschaftlichen Zusammenleben braucht: Das individuelle Selbst nämlich hat im selben Mass eine Aufwertung erfahren, wie bestimmte gemeinschaftsbildende Werte an Orientierungskraft in der Leistungsgesellschaft verloren haben.


In der These steckt ausserdem gut gesichertes psychologisches und soziologisches Wissen: Es gibt einen bedeutsamen Unterschied in unserem Erleben und im Handeln, je nachdem, ob es durch personale Identität (ICH-Stärke) oder durch soziale, geteilte Identität (WIR-Gefühl) motiviert ist.


Demnach ist es viel weniger oft so, dass Menschen bspw. bei Stress „fehlangepasst“ sind und mit Belastungen „nicht klar“ kommen, sondern auch (und manchmal vor allem) fehlende soziale Unterstützung als Ursache anzusehen ist.


Die These will zudem über die Grenzen des scheinbar grenzenlosen Selbstmanagements nachdenken. Wenn nämlich Selbstoptimierung zur Parole wird, ver-weist dies auf die Verinnerlichung neoliberaler Ideologien und führt nicht zu einem unternehmerischen, sondern viel häufiger zu einem "erschöpften Selbst".

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